*Lasius fuliginosus, Koloniegründung.

Diskussion über alle Ameisenarten.

*Lasius fuliginosus, Koloniegründung.

Beitragvon Frank Mattheis » Do 14. Jan 2010, 18:44

Bemerkungen zur temporär sozialparasitischen
Koloniegründung von Lasius (Dendrolasius)fuliginosus
VON FRANK MATTHElS
Lasius {Dendrolasius) fuliginosus ist eine temporär sozialparasitische Ameise, die zum Zwecke
der Koloniegründung bei den Arten der Chthonolasius-Gruppe parasitiert. Ich habe mich in
einem Zeitraum von über zehn Jahren mit temporär sozialparasitischen Ameisen aus den Untergattungen
Chthonolasius, Dendrolasius, Raptiformica und Formica beschäftigt. Dabei fiel auf,
daß die Fähigkeiten der temporären Sozialparasiten einerseits stets überschätzt werden, es war
bei meinen Versuchen keineswegs stets so, daß die sozialparasitischen Königinnen nach dem
Eindringen in das Wirtsnest die Wirtsköniginnen töteten, zum anderen fiel auf, daß bei einigen
sozialparasitischen Arten wie zum Beispiel Raptiformica sanguinea und Formica pratensis die
jungen Königinnen durchaus zu verschiedenen Wegen bei der sozialparasitischen Koloniegründung
fähig waren.
Die Palette der Möglichkeiten dieser Arten reicht vom Einschleichen der Königinnen in ein
geeignetes Wirtsnest, gepaart mit einem "einschmeichelnden" Verhalten, das geeignet ist, die
Akzeptanz der Arbeiterinnen des Wirtsnestes zu erreichen und ihre Aggressivität zu reduzieren
bis zu einem überfallartigen Angriff der sozialparasitischen Königin auf das Wirtsnest. Beide
Strategien und alle Zwischenformen sind sehr riskant und so gelingt nur wenigen Königinnen
die Übernahme des Wirtsnestes. Die jungen Königinnen der temporär sozialparasitischen
Arten der Gattung Lasius verfolgen bei der Koloniegründung einen "gewaltfreien" Weg, wenn
man vom atavistischen Verhalten der Lasius umbratus-Königinnen absieht. Die Königinnen dieser
Art suchen nach dem Hochzeitsflug die Nesteingänge von Lasius niger oder alienus auf, ohne
jedoch sofort in das Nest der Wirtsameise einzudringen. Ziel der jungen Königinnen ist es, eine
Arbeiterin der potenziellen Wirtsameisenkolonie zu erbeuten, die gepackt und getötet wird. Dieser
Instinktatavismus wird bereits eingehend von GÖSSWALD(1938) und STITZ(1939) geschildert
und erläutert. Interessant sind die Schlussfolgerungen, die GÖSSWALD aus seinen Beobachtungen
zieht. So hält er den Raub und die Tötung der L. niger-Arbeiterin durch die L. umbratus-Königinnen ,
jenen Vorgang, den er als Instinktatavismus beschreibt sowie den scheinbaren, oberflächlichen
Verzehr der erbeuteten niger für eine Instinkterinnerung aus einer Zeit, in der umbratus noch zur
selbständigen Koloniegründung fähig war, jedoch zum Zweck des Nahrungserwerbs
regelmäßig das Anfangsnest verlassen musste, um auf Raubzügen Arbeiterinnen verwandter
Lasius-Arten zu erbeuten.
Erst wenn die jungen umbratus-Königinnen diese atavistische Phase durchlaufen haben,
versuchen sie aktiv in das Wirtsameisennest einzudringen. Diesen Versuch bezahlen jedoch die
allermeisten 1. umbratus-Königinnen mit ihrem Leben, die volkreichen Kolonien der potenziellen
Wirtsameisen Lasius niger und 1. alienus gehen sehr energisch und aggressiv gegen die Eindringlinge
vor. Bei meinen Versuchen gelang es den L. umbratus-Königinnen nie, sich von einer
stärkeren, etablierten Lasius niger-Kolonie mit mehr als dreißig Arbeiterinnen erfolgreich adoptieren
zu lassen. Die L. niger-Arbeiterinnen zumindest solcher Kolonien, die eine niger-Königin
und niger-Brut hatten, attackierten die eingedrungene L. umbratus-Königin derart energisch
und heftig, dass diese binnen kurzer Zeit der Übermacht erlag. Auch meine Beobachtungen
im Freiland bestätigten meine Einschätzung, dass die L.umbratus-Königinnen bei gesunden,
brutpflegenden Wirtsameisenkolonien, die zwischen fünfzig- und hunderttausend Individuen stark
sein dürften, ziemlich chancenlos sind und so in den Nahrungskreislauf der niger-Kolonien
eingehen.
Dies kann nicht verwundern, denn schließlich ist anzunehmen, dass auch die Wirtsameisen im
Lauf ihrer Evolution Abwehr- und Schutzmechanismen entwickelt haben, um auch gut angepassten
Sozialparasiten widerstehen zu können. Nicht zuletzt auch im Interesse des in diesem Falle temporären
Sozialparasiten, für den das Überleben der Wirtsameise als Art ja erst die Basis seines
eigenen Überlebens ist, ohne sie sind weitere Koloniegründungen nicht möglich. So gelingt es
nur einigen wenigen umbratus-Königinnen, sich unter bestimmten Voraussetzungen adoptieren
zu lassen. Nur besondere Phasen in der Kolonieentwicklung der geeigneten Wirtsameisen
schienen bei meinen Versuchen wie auch bei meinen Beobachtungen im Freiland für eine erfolgreiche
Adoption und sozialparasitische Koloniegründung von L. umbratus-Königinnen bei Lasius
niger oder alienus geeignet zu sein. Im Versuch gelang den umbratus-Königinnen die Adoption
durch die niger- Arbeiterinnen und die Übernahme des niger-Nestes am ehesten, wenn
es sich um eine junge, einjährige Kolonie mit relativ wenigen, sehr kleinen Zwergarbeiterinnen
handelte. Diese winzigen Anfangsarbeiterinnen konnten den umbratus-Königinnen aufgrund
ihrer Kleinheit und ihrer geringen Zahl nur selten und unter allergrößten Mühen etwas entgegensetzen.
Im Freiland fand ich in den 80er und 90er Jahren fünf gemischte Kolonien von 1. umbratus/
1. niger, die durch ihre geringe Volkstärke auffielen, ein Indiz für meine Vermutung, dass
hier kleine, junge niger-Kolonien von umbratus übernommen wurden.
Die Anwesenheit einer niger-Königin spielte für den Prozess der Adoption der umbratus-
Königin und der Übernahme der niger-Kolonie durch die umbratus-Königin kaum eine
Rolle, die niger-Arbeiterinnen eliminierten ihre eigene Königin stets selbst, ohne Zutun der
umbratus-Königin, wenn deren Adoption vollzogen war.
Innerhalb der Gattung Lasius besteht das Phänomen, dass der temporäre Sozialparasit Lasius
(Chthonolasius) umbratus, der, wie eingangs beschrieben, den Weg der parasitischen Koloniegründung
bei Arten der Lasius niger-Gruppe beschreitet, seinerseits Wirtsameise für den ebenfalls temporären
Sozialparasiten Lasius (Dendrolasius) fuliginosus ist. Trotz der engen Verwandtschaft von
Chthonolasius und Dendrolasius gibt es unterschiedliche Strategien bei der sozialparasitischen
Koloniegründung. Die Möglichkeiten der umbratus, erfolgreich eine Kolonie zu gründen, stiegen
offensichtlich, wenn die jungen umbratus-Königinnen auf junge, kleine Wirtsameisenkolonien
stießen, deren winzige Arbeiterinnen den keineswegs unverletzlichen umbratus-Königinnen
nur wenig antun konnten. Wenn die umbratus-Königinnen in das Wirtsameisennest
eindringen, stoßen sie auf heftige, sehr erbitterte Gegenwehr, die großen, wehrhaften Arbeiterinnen
etablierter Wirtsameisenkolonien vermögen die umbratus-Königinnen schon in der Peripherie
des Nestes zu stellen und zu töten. So entscheidet sich schon während des Eindringens der
umbratus-Königin, ob ihr Vorhaben von Erfolg gekrönt sein wird oder nicht.
Lasius fuliginosus ist zwar ebenfalls ein temporärer Sozialparasit aus der Gattung Lasius, jedoch
gibt es einige, teils erhebliche Unterschiede bei der sozialparasitischen Koloniegründung,
die darauf hinweisen, dass die Strategie des temporären Sozialparasitismus bei Lasius mehrfach
parallel entwickelt wurde.
Die Koloniegründung von Dendrolasius fuliginosus ist bisher wenig erforscht. Bekannt ist,
dass bei der sozialparasitischen Koloniegründung Lasius umbratus als Hilfsameise dient. Weiterhin
wird vermutet, dass die jungen L. fuliginosus- Königinnen im Mutternest wieder aufgenommen
werden können und dass neue Kolonien auch durch Zweignestbildung entstehen.

L. fuliginosus schwärmt an warmen Sommertagen zwischen 16 Uhr und 22 Uhr. Es finden,
wie auch bei anderen Lasius-Arten, regelrechte Hochzeitsflüge statt, wie auf Kommando schwärmen
die jungen Geschlechtstiere verschiedener fuliginosus-Kolonien gleichzeitig und massenhaft.
Hierbei werden oft, insbesondere von den Königinnen, durchaus größere Strecken zurückgelegt,
so dass die Begattung und das Abwerfen der Flügel nach der Begattung in einiger
Entfernung vom Mutternest stattfinden. Eine Wiederaufnahme im Mutternest dürfte damit meist
unmöglich sein, eine Aufnahme in anderen Nestern von fuliginosus wird durch die Arbeiterinnen
dieser Nester verhindert, sie vertreiben oder töten jede junge fuliginosus-Königin, derer
sie habhaft werden können. Auch zeigten junge fulinosus-Königinnen bei meinen Beobachtungen
im Freiland und im Versuch kein gesteigertes Interesse, in eine fuliginosus-Kolonie
einzudringen, sie zeigten sich jedes Mal erschreckt und wichen fluchtartig zurück. Die Arbeiterinnen
von fuliginosus verhalten sich gegen fremde Ameisen der eigenen Art sehr aggressiv,
sie verfolgen diese und suchen sie zu töten. Dieses Verhalten zeigen sie auch gegenüber jungen,
fremden Königinnen der eigenen Art. Fuliginosus ist ein Nahrungsspezialist, der überwiegend
von den Ausscheidungen der von ihm kultivierten Pflanzenläuse lebt, das Revier einer Kolonie
kann einige große Bäume umfassen und wird heftig gegen fremde gleich- wie auch andersartige
Ameisen verteidigt. Eine Wiederaufnahme im Mutternest oder gar in anderen fuliginosus-
Kolonien scheidet aus diesen Gründen in aller Regel aus.
Zudem würde eine Wiederaufnahme bedeuten, dass die fuliginosus-Kolonien theoretisch
zeitlich unbegrenzt lebensfähig wären. In über dreißig Jahren, in denen ich die Ameisen Mitteleuropas
beobachtete und so auch Kolonien von 1. fuliginosus im Freiland immer wieder aufsuchte,
sah ich immer wieder neue Kolonien entstehen, aber auch alte Kolonien vergehen. An einem
Badestrand am Siethener See, Teltow-Flämig, beobachtete ich schon als kleiner Junge bewundernd
die Kolonnen von fuliginosus. Hier befand sich eine enorm starke Kolonie am Fuße
einer alten Eiche und die mir damals exotisch erscheinenden Ameisen beliefen diesen Baum wie
auch benachbarte Bäume in dichten Reihen auf ihren Duftstraßen. Nach einigen Jahren des
Dahinschwindens verschwand die fuliginosus-Kolonie jedoch restlos und dies ohne erkennbaren
Konkurrenzdruck durch andere Ameisen.
Die größten Feinde der Ameisen sind bekanntlich die Ameisen selbst. Fuliginosus jedoch vermochte sich
bei meinen Beobachtungen in Auseinandersetzungen mit größeren, scheinbar kampfstärkeren
Ameisen wie zum Beispiel Formica rufa stets erfolgreich durchzusetzen und war zudem meist
der Initiator der Kampfhandlungen. Immer ging es bei diesen Kämpfen um die Übernahme von
Bäumen und Blattlauskolonien anderer Ameisen durch fuliginosus. Die F. rufa alarmierten
zwar ihre Genossinnen und verstärkten ihre Präsenz, um ihre Nahrungsressourcen zu verteidigen,
wichen jedoch jedes Mal vor den bald massenhaft anrückenden fuliginosus zurück. Auch
beobachtete ich regelmäßige Vernichtungsfeldzüge gegen Myrmica spec. durch fuliginosus,
hier wurden die Brut und auch die Imagines der Myrmica erbeutet.
Es gibt keine mitteleuropäische Ameisenart, die den Fortbestand einer starken L. fuliginosus-
Kolonie ernsthaft gefährden kann, also müssen der Niedergang und das Aussterben alter L.
fuliginosus-Kolonien, den ich mehrmals beobachtet habe, andere Gründe haben.
Bei der sozialparasitischen Koloniegründung werden die geeigneten Chthonolasius-Kolonien
von vielen, wahrscheinlich einigen hundert jungen L. fuliginosus-Königinnen erfolgreich übernommen.
Sobald die erste Generation von L. fuliginosus-Arbeiterinnen in diesen gemischten
Kolonien entstanden ist, wird ein weiterer Zulauf von jungen L.fuliginosus- Königinnen, wie ich
noch zeigen werde, unterbunden. Die kritische Phase der Koloniegründung, in der sich bereits
die zukünftige Stärke und Lebensdauer der entstehenden L. fuliginosus-Kolonie entscheidet, ist
so in den ersten zwei, drei Monaten der sozialparasitischen Übernahme der Chthonolasius-Kolonie
anzusiedeln. Es ist anzunehmen, dass die L. fuliginosus-Königinnen, die ja den allergrößten
- Teil ilires Lebens unter optimalen Bedingungen ohne Nahrungsmangel und andere Gefährdungen
verbringen, dreißig oder mehr Jahre leben können. Irgendwann jedoch nach Ablauf dieser
Zeit kommt es zu einem langsamen Wegsterben der Königinnen der L.fuliginosus-Kolonie, die
Nachwuchszahlen an Arbeiterinnen nehmen ab und die Koloniestärke sinkt allmählich unter ein
kritisches Maß. Nun sind die L.fuliginosus-Kolonien keineswegs mehr unverletzlich gegen
Angriffe durch andere Ameisen, ihr größter Kampfvorteil neben ihrem Mandibeldrüsensekret, ihre
zahlenmäßige Stärke und ihre Fähigkeit, sehr schnell große Mengen ihrer Nestgenossinnen zu
rekrutieren, schwindet. So wird das Aussterben der Kolonie durch den Effekt verstärkt, dass die
Kolonien ihre Aussendienstarbeiterinnen durch größere Verluste bei Auseinandersetzungen verlieren,
infolge der schwindenden Kampfkraft ihre Nahrungsressourcen an Konkurrenten abgeben
müssen, was wiederum den Rückgang der Nachkommenschaft nun auch durch Nahrungsmangel
verstärkt. Zu solchen Niedergängen von L.fuliginosus- Kolonien käme es nicht, würde L.
fuliginosus regelmäßig jedes Jahr neue Jungköniginnen der eigenen Art adoptieren.
Auch die Neugründung durch Zweigkolonien dürfte äußerst selten sein und kaum ins Gewicht
fallen. L.fuliginosus errichtet zwar biwakähnliche Behausungen am Fuße ihrer Nahrungsbäume,
auf denen sie Pflanzenlauskulturen bewirtschaftet. Doch diese Biwaks dienen in erster Linie zum
Schutz der Ameisen und ihrer Pflanzenläuse bei den in Mitteleuropa typischen Schlechtwetterperioden,
und wohl vor allem dazu, eine genügend große Anzahl von Verteidigern der Nahrungsressourcen
stets bereit zu halten. Hier findet auch ein Futteraustausch zwischen "Hirten" und
"Transporteuren" statt, außerdem dienen diese Biwaks als Aufmarschgebiet bei der Erweiterung
des beherrschten Territoriums. L.fuliginosus kann sich Zweignester bei mitteleuropäischen Klimaverhältnissen
kaum leisten, der Bau und die Unterhaltung des Brutnestes verschlingen viel Energie.
Immerhin geschieht der Bau des kartonartigen Brutnestes unter Zuhilfenahme eines Pilzes,
der mit zuckerhaItigen Lösungen ernährt wird, und das Brutnest wird während der Brutperiode
durch erhöhte Stoffwechselaktivität permanent auf eine Temperatur von über 30 Grad Celsius beheizt, eine
bisher in der Literatur nicht erwähnte Tatsache (SEIFERT&BUSCHINGER 2001). Diese Umstände
führen zwangsläufig dazu, dass L. fuliginosus unter mitteleuropäischen Bedingungen ein sehr
konzentriertes Brutnest errichtet.
So ist die überwiegende Zahl der Neugründungen von L.fuliginosus- Kolonien auf den temporär
sozialparasitischen Wegüber die Hilfsameise Lasius umbratus zurückzuführen. L.fuliginosus
ist zwar in manchen Gegenden Mitteleuropas nicht selten, jedoch immer seltener anzutreffen als
jene Arten, bei denen er, direkt oder indirekt, parasitiert. Am häufigsten trifft man Lasius niger
oder 1. alienus an, die als Wirt für den Sozialparasiten Lasius umbratus fungieren, und deren
Verbreitung somit indirekt auch für den Fortbestand der 1. fuliginosus Voraussetzung ist.
Es gibt in der Fachliteratur Hinweise, dass fuliginosus zum Zwecke der temporär sozialparasitischen
Koloniegründung auch Lasius niger, alienus und brunneus heimsucht. Im
Freiland konnte ich dies nie beobachten. Junge fuliginosus-Königinnen versuchten nie, in die
Nester dieser Arten einzudringen, auch dann nicht, wenn ich sie unmittelbar vor den Nesteingängen
aussetzte. Auch wurden sie von den Ameisen dieser Arten stets sofort verfolgt und angegriffen,
was von umbratus anfangs nicht getan wird. Bei Versuchen, die ich mit frischgeschlüpften,
unausgefärbten und toleranten Lasius niger machte, wurden die fuliginosus- Königinnen zwar
adoptiert, bestens gepflegt und gefüttert,begannen sogar Eier zu legen, starben jedoch innerhalb
-wenigerWochen restlos weg. Ich vermute daher, dass fuliginosus bei der parasitischen Koloniegründung
auf umbratus oder andere Arten aus der Chthonolasius-Gruppe angewiesen ist. Nur
mit ihrer Hilfe gelang die Koloniegründung nachhaltig.

Als ich Anfang der 80er Jahre ein umbratus-Nest öffnete, traute ich meinen Augen nicht.
Zwischen den zahllosen, gelben Arbeiterinnen der umbratus fand ich viele junge fuliginosus-
Königinnen. Sie konnten erst vor wenigen Tagen eingewandert sein, ihre Hinterleiber zeigten
noch nicht die typische Physogastrie, die in ihren Anfängen bereits wenige Tage nach dem Eindringen
der fuliginosus-Königinnen in das Wirtsameisennest zu erahnen ist. Ein Jahr später
war aus der umbratus - Kolonie bereits eine gemischte Kolonie geworden, ein weiteres Jahr
später hatte sich an dieser Stelle eine starke, reine fuliginosus-Kolonie etabliert. Ich fand in
diesen Jahren immer wieder gemischte Kolonien dieser Arten und begann, mich für den temporären
Sozialparasitismus von fuliginosus zu interessieren. In der mir damals zugänglichen
Fachliteratur fanden sich keine plausiblen Erklärungen zum Sozialparasitismus von fuliginosus
außer den oben erwähnten, die mich jedoch nicht sehr überzeugten. So machte ich mich daran,
die Koloniegründung von fuliginosus zu untersuchen. Bekannt war, dass fuliginosus seine
sozialparasitische Koloniegründung wohl vor allem bei umbratus, mixtus oder anderen
Chthonolasius-Arten vornimmt. Welche Bedingungen jedoch Voraussetzung für eine geglückte
Koloniegründung sind und welche Abläufe bei der Adoption wirken, war im Einzelnen nicht
beschrieben. So mussten zwangsläufig die meisten meiner Versuche, vor allem die ersten, erfolglos
bleiben. Dies kann als Beleg dafür gelten, wie schwer es auch gerade temporären Sozialparasiten
fällt, erfolgreich eine Kolonie zu gründen oder wie in diesem Fall zu übernehmen.
SEIFERT&BUSCHINGER(2001) berichten über eine Beobachtung, nach der auch andere temporär
parasitische Lasius-Arten zu mehreren in ein Wirtsnest eindringen können; dabei handelte es
sich um acht junge Königinnen von Lasius meridionalis in einem Nest von Lasius paralienus.

Nachfolgend nun Schilderungen einiger meiner Versuche zur Koloniegründung von Lasius
fuliginosus.
Anfang Juni des Jahres 1986 fing ich einige junge fuliginosus-Königinnen. Ich entnahm
einer umbratus-Kolonie einige hundert Arbeiterinnen mit Brut und ließ diese in ein
Beobachtungsnest einziehen. Das Beobachtungsnest war durch einen Plastikschlauch mit einem
Terrarium verbunden, das als Freilauf für die Ameisen diente und in dem das Futter angeboten
wurde. Einen Tag, nach dem die umbratus eingezogen waren und sich beruhigt hatten, ließ ich
die fuliginosus-Königinnen im Terrarium frei. Die fuliginosus-Königinnen zeigten sofort
ein interessantes, für ihre Art typisches Verhalten, das sie allerdings nur zeigten, wenn sie auf
Chthonolasius stießen. Ihr aufgeregtes, fluchtartiges Umherlaufen beendeten sie sofort, wenn sie
die "Fährte" der umbratus aufgenommen hatten. Sie zeigten nun ein sehr zielgerichtetes, konzentriertes
Verhalten. Sie liefen fast gänzlich unbehelligt auf den Duftstraßen der umbratus,
stiegen aufgrund ihrer höheren Gewandtheit über diese hinweg und strebten alle zielgerichtet
dem Brutnest der umbratus zu. Erstaunlich war, dass die umbratus anfangs kaum Notiz von
den juliginosus-Königinnen nahmen. Sie beachteten diese kaum, fütterten sie sogar, wenn sie
von den fuliginosus-Königinnen angebettelt wurden, doch nur kurz, wendeten sich sofort ab,
gerade so, als würden sie einen Irrtum bemerken. Die fuliginosus- Königinnen eilten nun ständig
durch das Nest, verließen es hin und wieder, durcheilten rastlos das Terrarium, ihre Rastlosigkeit
wurde nur unterbrochen durch häufiges, intensives Putzverhalten. Ihr ständiges schnelles
Umherlaufen erweckte zwar den Eindruck, als würden sie orientierungslos herumirren, doch
schienen sie sehr genau zu wissen, was sie taten. Sie kehrten immer wieder zielgerichtet in das
Brutnest der umbratus zurück. Nach einigen Stunden begannen sie hier immer längere Pausen
zu machen, mit Vorliebe hielten sie sich in der Nähe der Eigelege und Larven auf. Nun begann
sich jedoch auch das Verhalten der umbratus zu ändern. Fast schien es, als würden sie erst jetzt
das Eindringen der kolonie fremden fuliginosus-Königinnen registrieren. Die umbratus-
Arbeiterinnen begannen nun, die fuliginosus- Königinnen an Fühlern und Beinen festzuhalten.
Ihr Verhalten gegenüber den fuliginosus- Königinnen wurde nun immer rabiater. Ich begann,
mir um die fuliginosus-Königinnen Sorgen zu machen. Aus anfänglichem Festhalten wurde
nun bald ein Herumzerren, die umbratus begannen nach etwa acht Stunden die fuliginosus-
Königinnen derart hartnäckig zu bekämpfen, dass diese nach weiteren vier Stunden allesamt tot
waren. Auch die toten fuliginosus-Königinnen wurden nun mit großer Aggressivität herumgezerrt
und schließlich vollständig zerbissen und zerlegt. Dieser Versuch war also misslungen.
Ein weiterer Versuch mit derselben umbratus-Kolonie wenige Tage später endete mit dem
gleichen Fiasko.
Jedoch zeigen diese misslungenen Versuche, dass eine intakte Wirtsameisenkolonie von
umbratus, aus einer solchen hatte ich die Arbeiterinnen entnommen, in der Lage ist, trotz der
hervorragenden Anpassung des Sozialparasiten fuliginosus- immerhin dringen dessen junge
Königinnen fast ungehindert in das Wirtsameisennest ein - diesen schließlich zu identifizieren
und rechtzeitig abzuwehren. Dies erscheint auch logisch, schliesslich schwärmt fuliginosus von
Mai bis September. Wahrscheinlich werden alle Chthonolasius-Kolonien in dieser Zeit regelmässig
und in großen Mengen mit 1. fuliginosus- Königinnen infiziert. Würde fuliginosus in gesunden,
intakten Wirtsameisenkolonien auch nur eine geringe Chance zur sozialparasitischen
Koloniegründung haben, würde dies über kurz oder lang zum Aussterben der Chthonolasius
führen.
Bewiesen war indes die Tatsache, dass Chthonolasius der geeignete Wirt für fuliginosus ist.
Nur hier zeigten die fuliginosus-Königinnen das Bestreben, in die Wirtsameisenkolonie eindringen
zu wollen, und nur hier wird dieser Akt des Eindringens durch das anfangs gleichgültige
Verhalten der Chthonolasius begünstigt. Die Möglichkeiten der geruchlichen Tarnung, die
fuliginosus offenbar entwickelt hat, um in das Wirtsameisennest zum Zweck der parasitischen
Koloniegründung einzudringen, erwiesen sich nur bei Chthonolasius als erfolgreich. Jedoch spielen
augenscheinlich noch andere Faktoren eine wichtige Rolle für eine erfolgreiche, temporär sozial-
- parasitische Koloniegründung von fuliginosus bei Chthonolasius.
Für einen weiteren Versuch im Jahre 1987 entnahm ich bereits im März derselben umbratus-
Kolonie, die ich im Vorjahr schon heimgesucht hatte, wiederum einige hundert Arbeiterinnen.
Der Gedanke war, die Tiere bis zum Schwärmen der fuliginosus-Königinnen weisellos zu
halten um zu prüfen, wie ihre Chancen in einer weisellosen Kolonie von umbratus stünden.
Bereits Anfang Juni diesen Jahres konnte ich drei Jungköniginnen von fuliginosus einfangen,
die ich mit einer Vielzahl von umbratus-Puppen, die ich nochmals dem umbratus-Nest im
Freiland entnommen hatte, zu der seit drei Monaten weisellos lebenden umbratus - Kolonie
setzte. Die fuliginosus- Königinnen zeigten ihr typisches Verhalten, durcheilten die umbratus-
Kolonie und das Freilaufterrarium, nicht ohne hier und da zu verharren, die umbratus-
Arbeiterinnen mit ihren Fühlern zu betrillern und zu untersuchen. Im Beobachtungsnest war eine
ziemliche Aufregung, die umbratus trugen fieberhaft und in großer Eile die Puppen ein. Trotzdem
war ihr Verhalten gegenüber den fuliginosus-Königinnen im Vergleich zum vorjährigen
Versuch ein anderes. Sie zeigten nun von Anfang an ein überwiegend freundliches Interesse an
den fuliginosus-Königinnen. Nur wenige drohten den recht aufdringlichen fuliginosus-Königinnen
mit aufgesperrten Kiefern, und nur selten hängte sich eine umbratus an die Gliedmaßen
der fuliginosus-Königinnen. Auch nach etwa acht Stunden, als die fuliginosus-Königinnen
bereits gemeinsam auf den Puppenhaufen thronten, war das Verhalten der umbratus weitestgehend
friedlich. Viele begannen nun die fuliginosus-Königinnen zu putzen. Diese putzten
ihrerseits ständig die sie umgebenden umbratus-Arbeiterinnen, tauschten mit ihnen Futter aus
und gewannen so immer mehr umbratus für sich. Stets fand ich die fuliginosus-Königinnen
nun gemeinsam im Zentrum einer dichten Traube gelber umbratus sitzend, ständig putzten und
fütterten sie sich gegenseitig und die sie nun in Mengen umgebenden 1. umbratus. Besonderen
Zulauf erhielten sie von den jungen, frischgeschlüpften umbratus, die den zugesetzten Kokons
entschlüpft waren. Diese jungen Tiere und im zunehmenden Maße aucb die alten umbratus
waren regelrecht süchtig nach den Körperausscheidungen der fuliginosus-Königinnen, diese
wurden nun ständig von ihnen geleckt und geputzt.
Im Vergleich zu den umbratus-Königinnen waren die fuliginosus-Königinnen bei meinen
Versuchen auch nach der gelungenen Adoption viel aktiver und rühriger, ständig putzten und
fütterten sie sich gegenseitig und die umbratus mit großer Hingabe, hin und wieder patrouillierten
sie durch das Nest, jedoch immer fanden sie sich zusammen und sammelten einen Hofstaat
um sich, der aus immer mehr werdenden 1. umbratus bestand, die ihnen offensichtlich und
mit großer Hingabe zugetan waren. Schon nach zwei Tagen gab es keinerlei feindselige Reaktionen
einzelner umbratus mehr. Diese Reaktionen waren bei diesem Versuch ohnehin viel schwächer
und verhaltener ausgefallen. Nach etwa vierzehn Tagen begannen die fuliginosus-Königinnen
mit der Eiablage. Sie zeigten nun sogar gewisse Anklänge eines Brutpflegeverhaltens.
Stets waren sie in unmittelbarer Nähe der Eipakete zu finden und oft hielten sie kleine Eipakete
in ihren Kiefern. Weitere acht Wochen später erschienen die ersten, sehr kleinen fuliginosus-
Arbeiterinnen, die Koloniegründung war damit geglückt. Nun schlüpften in rascher Folge und
auf Grund des guten Futterangebotes immer mehr fuliginosus-Arbeiterinnen. Als deren Zahl
etwa ein Drittel der umbratus erreicht hatte, begannen die fuliginosus-Arbeiterinnen die
umbratus von den fuliginosus- Königinnen zu verdrängen. Diese waren nun fast ausschließlich
. von fuliginosus-Arbeiterinnen umgeben, die nun auch im restlichen Brutnest immer mehr
dominierten. Die umbratus wurden unmerklich und gewaltlos aus dem Innendienst verdrängt.
Die Zahl der. fuliginosus-Arbeiterinnen wuchs in den nächsten Wochen und Monaten immer
stärker, bald waren die umbratus nur noch eine Minderheit. Das geschäftige Treiben der
umbratus wich nun mehr und mehr einem apathischen, teilnahmslosen Herumlungern in den
Eingängen und im Freilauf des Beobachtungsnestes, sie waren nun zu einer nutzlosen, bestenfalls
futterspeichernden Kaste degradiert.
In den Larvenkammern des Beobachtungsnestes fand ich nun immer wieder die gelben Chitinpanzerteile
der umbratus. Ich nahm anfänglich an, die fuliginosus würden die frischtoten,
eines natürlichen Todes gestorbenen Kolleginnen verwerten, indem sie diese an ihre Larven verfütterten.
Jedoch konnte ich nun immer wieder beobachten, dass umbratus-Arbeiterinnen, die
sich in der Nähe des Brutnestes aufhielten, von den fuliginosus-Arbeiterinnen festgehalten
und bei lebendigen Leib zerteilt wurden. Die umbratus setzten sich in teilnahmsloser Gleichgültigkeit
hierbei nicht zur Wehr. Die fuliginosus trennten sich in gnadenloser Manier von
ihren Ziehmüttern, die nun zu nutzlosen Mitessern geworden waren. Dies geschah jedoch nicht
so abrupt wie etwa die Drohnenschlacht bei den Honigbienen, die umbratus wurden nach und nach
eliminiert. Bei meinen Versuchen zur Koloniegründung von umbratus bei Lasius niger trennte
sich die junge umbratus-Kolonie sehr viel rabiater und schneller von ihren Wirtsameisen, hier
verschwanden die niger innerhalb weniger Wochenvon der Bildfläche. Dieses bei fuliginosus
langsame und bei umbratus schnellere Dahinmorden der Wirtsameisen ließ sich nicht auf
Nahrungsmangel zurückführen. Ich achtete stets darauf, den Kolonien genügend eiweiß- und
kohlenhydratreiches Futter anzubieten, um ein gesundes normales Wachstum zu ermöglichen.
Ein neuer Versuch im Jahr 1991 mit mehreren tausend umbratus-Arbeiterinnen, die ich bereits
im Herbst des Jahres 1990 ihrer Kolonie entnommen hatte und seitdem weisellos hielt, und
mit zwölf fuliginosus-Königinnen endete ebenfalls mit einer gelungenen Koloniegründung.
Die Kolonie, die ich im Mai 1993 in die Freiheit entließ, lebt noch heute an ihrem Standort.
Im Sommer 1994 verbrachte ich meinen Urlaub in Ungarn. Hier konnte ich in wenigen Tagen
über zwanzig junge fuliginosus- Königinnen sammeln. Da die fuliginosus-Königinnen nicht
über längere Zeit ohne Wirtsameisen lebensfähig sind, begann ich nach einer umbratus-Kolonie
zu suchen. Da ich trotz intensiven Suchens in so kurzer Zeit keine fand, beschloss ich, den
Versuch mit Lasius niger zu wiederholen. Ich entnahm einer niger-Kolonie einige Puppen und
ca. vierzig junge, unausgefärbte Arbeiterinnen. Diese schlossen sich den fuliginosus- Königinnen
sofort an. Während die ausgefärbten, geprägten niger-Arbeiterinnen jedes Mal sofort wütend
auf die fuliginosus-Königinnen losgingen, dies im Gegensatz zu erwachsenen umbratus-
Arbeiterinnen, erwiesen sich die jungen, ungeprägten niger als fürsorgliche Hilfsameisen fiir
die fuliginosus-Königinnen. So verstärkte ich den Stamm an niger-Arbeiterinnen, indem
ich weitere Puppen zugab. Bald waren es einige hundert niger, die sich um die fuliginosus-
Königinnen kümmerten. Der Versuch verlief anfangs normal, wie nach einer geglückten Adoption
zu erwarten war. Sehr bald begannen die fuliginosus- Königinnen Eier zu legen, die von den
niger aufopferungsvoll gehegtund gepflegt wurden. Jedoch starben sehr bald erste fuliginosus-
Königinnen, nach zwei Monaten lebte keine mehr von ihnen.
. Im Jahre 1995 wiederholte ich diesen Versuch mit zwei fuliginosus-Königinnen und einigen
Dutzend junger, unausgefärbter Lasius emarginatus. Wieder gab es keine Probleme bei der Adoption.
Auch hier begannen die fuliginosus-Königinnen mit der Eiablage. Jedoch scheiterte
dieser Versuch, beide fuliginosus- Königinnen starben binnen vier Wochen.
Der Grund ihres Todes blieb unklar, auch sie wurden aufopfernngsvoll und mit Hingabe von
den emarginatus gepflegt und versorgt, wie auch die L.fuliginosus-Königinnen des Vorjahres
von den Lasius niger.
Eine Nestgründung unter den Vorzeichen dieser beiden zuletzt beschriebenen Versuche dürfte
in der freien Natur nicht möglich sein. Junge, unausgefarbte niger oder emarginatus werden
sich natürlich nie einer fuliginosus-Königin anschließen und wohl auch nie die Möglichkeit
dazu haben. Geprägte niger-Arbeiterinnen oder emarginatus werden eine fuliginosus-
Königin selbst in einer weisellosen Kolonie nicht dulden. Bei meinen Beobachtungen versuchten
junge fuliginosus-Königinnen nie in niger-Kolonien einzudringen. Vielmehr zeigten sie
sich bei meinen Versuchen mit geprägten, älteren niger stets erschrocken und ergriffen die
Flucht, wenn sie die Möglichkeit dazu hatten. Wichtig bei diesen Versuchen war jedoch die Tatsache,
dass die fuliginosus-Königinnen von den jungen niger oder emarginatus zwar
adoptiert wurden, jedoch die Frühphase der Koloniegründung nicht überlebten. Ich vermute,
dass fuliginosus bei der sozialparasitischen Koloniegründung speziell auf Chthonolaslus angewiesen
ist. Bei niger oder emarginatus war fuliginosus bei meinen Versuchen trotz
günstigster Ausgangsbedingungen, die fuliginosus im Freiland bei diesen Arten so nie vorfinden
wird, zu einer Koloniegründung nicht in der Lage. Für die Abhängigkeit des Sozialparasiten
fuliginosus von Chthonolasius sprach zum einen der frühe Tod der fuliginosus- Königinnen
in diesen beiden Versuchen, zum anderen die Tatsache, dass ich trotz langen Suchens im Freiland
nie eine gemischte Kolonie fuliginosus/ niger oder Ähnliches gefunden habe, immer bestanden
junge, gemischte Kolonien aus fuliginosus/umbratus oder fuliginosus/ mixtus.
Im Frühsommer des Jahres 1997 entnahm ich einer umbratus-Kolonie einige tausend Arbeiterinnen.
Ich ließ die Tiere in mein Beobachtungsnest einziehen und setzte wenige Tage später
einige junge fuliginosus-Königinnen in den Freilauf des Beobachtungsnestes. Der Versuch
verlief wie meine Versuche aus dem Jahre 1987, alle jungen fuliginosus-Königinnen waren
nach wenigen Stunden getötet worden. Die umbratus, die ich erst wenige Tage vorher aus einer
weiselrichtigen Kolonie entnommen hatte, waren offenbar nicht bereit, die fuliginosus-Königinnen
zu adoptieren. Trotzdem beließ ich die umbratus-Kolonie im Beobachtungsnest, konnte
mich jedoch in diesem Sommer aus Zeitmangel um den Versuch nicht mehr kümmern. So
wurden die umbratus lediglich gefüttert bis ins Jahr 1998. Im Frühsommer diesen Jahres sammelte
ich wieder einige fuliginosus-Königinnen, die ich zu der seit einem Jahr weisel- und
brutlosen umbratus-Kolonie setzte. Die fuliginosus- Königinnen wurden nun ohne Schwierigkeiten
adoptiert, nach zwei Tagen waren sie bereits von den umbratus umringt und bildeten
mit ihnen eine dichte Traube, in deren Zentrum die fuliginosus-Königinnen saßen. Schon nach
fünf Tagen erschienen die ersten Eipakete, die nun immer größer wurden, und nach etwa acht
Wochen schlüpfte die erste Generation von fuliginosus-Arbeiterinnen. Die Koloniegründung
war auf Anhieb gelungen, wieder mit einer weisellosen umbratus-Kolonie.
Als die erstenL.fuliginosus-Arbeiterinnen bereits im Außendienst im Freilauf des Beobachtungsnestes
furagierten, setzte ich weitere fuliginosus-Königinnen hinzu, die ich Anfang August
1998 gesammelt hatte.
Die 1. umbratus verhielten sich indifferent, eher freundlich gegenüber den Neuankömmlingen,
die fuliginosus-Arbeiterinnen jedoch suchten diese zu vertreiben und töteten sie schließlich.
Auch weitere Versuche, die nun gemischte Kolonie mit jungen fuliginosus-Königinnen zu
verstärken, wurden von den fuliginosus-Arbeiterinnen trotz ihrer noch geringen Zahl vereitelt.
Über den Winter 1998/99 wuchs die Kolonie rasch an. Optimale Bedingungen, Wärme und
ein gutes Futterangebot ließen die Zahl der fuliginosus-Arbeiterinnen immer mehr anschwellen,
im gleichen Maße verschwanden die umbratus-Arbeiterinnen wie oben beschrieben.
Im Frühjahr 1999 beschloss ich, den 1. fuliginosus nun Auslauf durch eine Bohrung im Fensterrahmen
über meinen Balkon im Parterre zu gewähren. Es gab im Umfeld meines Balkons nur
Grasland, besiedelt von einigen Lasius niger-Kolonien. Die niger hatten des Öfteren meinen
Balkon besucht. Damit war nun Schluss, die fuliginosus besetzten rasch das gesamte Terrain
und beschlagnahmten sofort die angebotenen Futterstellen auf dem Balkon. Immer wieder unternahmen
sie ausgedehnte Expeditionen in das umgebende Grasland, dabei griffen sie auch schwächere
niger-Kolonien an und plünderten diese. Da sich für meine fuliginosus wohl keine
bessere Siedlungsmöglichkeiten und Kohlenhydratquellen fanden als jene, die ich ihnen anbot,
konnte ich über zwei Jahre das Werden der Kolonie unter "Freilandbedingungen" verfolgen. Im
Winter des Jahres 1999/2000 musste die fuliginosus-Kolonie freilich wieder mit dem Terrarium
vorliebnehmen, das ich ihnen während der gesamten Zeit alternativ als Freilauf anbot. Meine
Versuche, die einjährige Kolonie im Sommer 1999 durch Zugabe junger fuliginosus-Königinnen
zu verstärken, verlief wie im Vorjahr erfolglos. Alle koloniefremden, jungen fuliginosus-
Königinnen wurden sofort getötet. Im Frühjahr 2000 ließ ich die Kolonie nicht mehr über den
Balkon auslaufen, ich brachte die Kolonie an einen geeigneten Standort im Freiland, wo sie noch
heute lebt. Es hatte im Sommer 1999 gewisse Unstimmigkeiten mit meinen Nachbarn gegeben,
denen die auf und von meinen Balkon massenhaft auslaufenden, glänzendschwarzen Ameisen
nicht verborgen geblieben waren.

Zusammenfassend stelle ich fest, dass Lasius fuliginosus als temporärer Sozialparasit seine
Koloniegründung ausschließlich bei Arten der Chthonolasius -Gruppe vollzieht. Hierbei genügt
jedoch nicht, dass die jungen fuliginosus-Königinnen eine Kolonie dieser Wirtsameisen finden,
es müssen weitere begünstigende Faktoren wie die Weisellosigkeit der Wirtsameisenkolonie
gegeben sein. Junge fuliginosus-Königinnen dringen jedes Jahr in großer Zahl in alle erreich-
baren Chthonolasius-Kolonien ein, jedoch nur in bereits weisellosen Kolonien haben sie eine
Chance adoptiert zu werden. So gelangen nur extrem wenige fuliginosus-Königinnen zum
Erfolg. Wahrscheinlich ist diese Rate noch um ein Vielfaches geringer als bei Ameisen, die ihre
Kolonien selbständig gründen. Worin also besteht die Zweckmäßigkeit des temporären
Sozialparasitismus speziell bei 0 fuliginosus? Die Königinnen von fuliginosus sind im Vergleich
zu verwandten, auch sozialparasitischen Arten der Gattung Lasius extrem kleinwüchsig,
ihre Produktion verbraucht daher relativ gesehen weniger Energie. So kann es sich fuliginosus
als wohl einzige mitteleuropäische Ameise leisten, über fast die gesamte Aktivitätsperiode, von
Mai bis September, Jungköniginnen zu produzieren und zu schwärmen. Die jungen, begatteten
fuliginosus-Königinnen prüfen so ständig die erreichbare Umgebung auf geeignete, weisellose
Chthonolasius-Kolonien. Gibt es eine solche Kolonie, wird sie wahrscheinlich bereits im ersten
Jahr ihrer Weisellosigkeit von vielen fuliginosus-Königinnen regelrecht überschwemmt, die
relativ problemlos nur hier adoptiert werden. Eine weitere Anpassung an die sozialparasitische
Lebensweise ist die außerordentliche Produktions fähigkeit der Königinnen, die sehr bald nach
der Adoption eine ausgeprägte Physogastrie zeigen und Unmengen von Eiern legen. Dieser
Umstand wird noch verstärkt durch die polygyne Lebensweise von fuliginosus. Sie übernimmt
im Freiland immer sehr große Chthonolasius-Kolonien bei der sozialparasitischen Koloniegründung
im Gegensatz zur sozialparasitischen Koloniegründung von 1. umbratus bei niger.
Viele tausend umbratus ziehen in kurzer Zeit eine große Zahl von fuliginosus-Arbeiterinnen
heran. Jedoch ist auch die Anfangsphase im Leben einer fuliginosus-Kolonie, wenn die temporär
gemischte Kolonie von der unterirdischen Lebensweise der Chthonolasius zur oberirdischen
Lebensweise der fuliginosus übergeht, eine kritische. Ich konnte mehrmals beobachten, dass
junge, noch relativ volksarme fuliginosus- Kolonien von großen Kolonien der eigenen Art vernichtet
wurden, wenn sich solche in der Nähe befanden. Fuliginosus lebt in beständiger Feindschaft
zu artgleichen Kolonien, Konkurrenten auch der eigenen Art werden nicht geduldet.
Fuliginosus adoptiert keine jungen Königinnen der eigenen Art. Sobald die ersten
fuliginosus-Arbeiterinnen in der gemischten Kolonie herangewachsen sind und erste Aufgaben
in der Kolonie übernehmen, wird ein weiterer Zulauf junger fuliginosus-Königinnen unterbunden.
Damit scheidet wohl auch eine Zweignestbildung als weitere Variante der Koloniegründung
von fuliginosus aus. Dies wäre auch nicht sinnvoll, sie würde nur ein Aufsplittern der Kapazitäten
einer fuliginosus-Kolonie bedeuten, denn dies hieße, dass alte Königinnen abwandern
müssten. Fuliginosus ist nach meinen Beobachtungen eine äußerst sesshafte Ameise, nur extreme
Störungen veranlassen eine Kolonie zum Umzug. Schließlich investiert fuliginosus bekanntermaßen
viel mehr Energie in den Nestbau und in die Brutnesttemperaturregulierung als
die meisten anderen mitteleuropäischen Ameisenarten.
Bleibt die Frage, warum fuliginosus keine jungen Königinnen der eigenen Art adoptiert,
warum dies selbst aussterbende Kolonien nicht tun. Immerhin könnte dies ihren Fortbestand
bedeuten. Auch die anderen, meist monogynen Arten der Gattung Lasius adoptieren unter normalen
Bedingungen nie Königinnen der eigenen Art. Diesbezügliche Versuche mit umbratus,
die ich bereits in meiner Kindheit unternahm, endeten immer mit dem Tod der jungen umbratus-
Königinnen, sie wurden von den arteigenen Arbeiterinnen nicht geduldet. Stellt man die Frage
anders herum, erschließt sich uns durchaus der Sinn dieses Verhaltens der Ameisen. Warum
sollte eine junge fuliginosus-Königin das Wagnis des Hochzeitsfluges und der gefährlichen3
Suche nach einer geeigneten Chthonolasius-Kolonie auf sich nehmen, wenn eine Adoption in der
eigenen oder wenigstens einer artgleichen Kolonie sehr viel risikoloser wäre? Böten sich diese
Möglichkeiten einer Adoption, würden zweifellos die meisten jungen Königinnen diesen Weg
beschreiten. Damit wären die polygynen Kolonien von fuliginosus zwar theoretisch zeitlich
unbegrenzt lebensfähig, der Preis wäre jedoch, dass diese Adoptionen über kurz oder lang zu
einer Verarmung des sozialparasitischen Verhaltensrepertoires von fuliginosus führen würde.
Damit würde fuliginosus unter anderem die Fähigkeit verlieren, neue Gebiete zu besiedeln,
Krankheiten und andere Unglücke, die zum Untergang einer Kolonie führten, würden unwiederbringliche
Verluste in der fuliginosus-Population mit sich bringen.
Die temporär sozialparasitische Koloniegründung durch fuliginosus bei anderen Arten der
Gattung Lasius wie niger, alienus oder emarginatus war selbst unter extrem günstigen
Voraussetzungen in meinen Versuchen fehlgeschlagen. Auch habe ich, wie bereits erwähnt, im
Freiland eine derart gemischte Kolonie nie finden können. Dieser Umstand und weitere, oben
beschriebene Beobachtungen lassen mich zu dem Schluss kommen, dass fuliginosus bei der
temporär sozialparasitischen Koloniegründung ausschließlich bei Arten der Chthonolasius-Gruppe
parasitiert und auf diese Arten spezialisiert ist, hier vor allem bei umbratus und mixtus. Nur
diese Arten konnten in meinen Versuchen erfolgreich als Wirtsameisen eingesetzt werden.
Lasius fuliginosus wurde in der Vergangenheit oft als Schädling betrachtet. Tatsache ist, dass
fuliginosus in großen Mengen Rinden- und andere Pflanzenläuse kultiviert und so die betroffenen
Bäume zu einem gewissen Aderlass zwingt. Sieht man sich die besiedelten Bäume jedoch
an, die fuliginosus bewirtschaftet, fällt auf, dass sie meist gesund aussehen und weniger unter
Fraß- und anderen Schäden leiden als andere, gleichartige Bäume in der Nähe. Fuliginosus
trägt neben den zuckerhaltigen Ausscheidungen seiner Pflanzenläuse Unmengen von tierischem
Eiweiß für die Aufzucht seiner Brut ein, und die vom ihm bewirtschafteten Bäume sind Jagdrevier
allererster Kategorie. So ist der Nutzen für die betroffenden Bäume sicher größer als der eventuelle
Schaden, den fuliginosus durch seine Besiedlung und Bewirtschaftung bewirkt. Nicht zuletzt
sind auch alle unsere als nützlich bezeichneten Waldameisen auf die zuckerhaltigen Ausscheidungen
ihrer Pflanzenlauskolonien bei ihrer Ernährung angewiesen, auch diese Arten domestizieren,
wenn auch weniger ausgeprägt, Pflanzenläuse.
Literatur
GÖSSWALDK,. (1938): Grundsätzliches über parasitische Ameisen unter besonderer Berücksichtigung
der abhängigen Koloniegründung von Lasius umbratus mixtus Nyl.. Z. wiss. Zoo1. 151, 101-148.
SEIFERT,B. & A. BUSCHINGER(2001): Pleometrotische Koloniegründung von Lasius meridionalis
(BONDROIT, 1920) bei Lasius paralienus SEIFERT,1992, mit Bemerkungen über morphologische
und ethologische Anpassungen an die sozialparasitische Koloniegründung (Hymenoptera:
Formicidae). Myrmecologische Nachrichten 4, 11-15.
STITZ, H. (1939): Ameisen oder Formicidae. In: DAHL F.: Die Tierwelt Deutschlands und der angrenzenden
Meeresteile, 37.Tei1, Jena, 428 S.
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Frank Mattheis
 
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